Reverse Engineering

Technologie gegen Technokratie
Reverse Engineering als Aufstand der Benutzer_innen
Vorüberlegungen zu paraflows .7



Die Öffnung der Geräte

Der Begriff des „Reverse Engineering“ entstammt ursprünglich dem Maschinen-
bau, wurde jedoch in den vergangenen Jahren verstärkt auch im Hinblick auf
digitale Technologie verwendet, diskutiert und auf diesem Wege popularisiert.
Er bezeichnet Verfahrensweisen, bei denen ein bestehendes Artefakt nach-
geahmt werden soll. Dafür muss zunächst sein Bauplan freigelegt werden, um
die Funktionsbeziehungen, die es ausmachen, reproduzieren zu können. Nur so
lässt sich sein Innenleben überblicken und verstehen: die Bauteile und ihr Wechselwirkungsverhältnis oder auch: der Quellcode.

Insofern der Nachbau genauso und genauso gut funktioniert wie das Aus-
gangsmodell, lässt sich sagen, dass das neue Gerät aus dem alten „ausge-
lesen“ wurde, das seine „Betriebsgeheimnisse“ sowohl entborgen als auch
kreativ angeeignet wurden.

Unter der Benutzer_innenoberfläche eines Gerätes oder Programms liegt das
Wissen derjenigen verborgen, die es geschaffen haben. Die äußere Form, jenes
Gehäuse, das Mechanik oder Elektronik unserem unmittelbaren Zugriff entzieht,
stellt also nicht bloß eine Schutzschicht dar. Sie bildet eine Barriere, die uns ab-
weist: Wie es im Gerät aussieht, soll uns nichts angehen. Wo sich Technologie
vor uns verbirgt, indem sie uns nur als Design oder Bedienungselement gegen-
übertritt, hält sie uns auf Distanz. Vom Geheimwissen der Ingenieur_innen und
Programmierer_innen, das in ihr pulsiert, bleiben wir ausgeschlossen, und wo
Reparaturen oder Modifikationen notwendig werden, sind wir an Kundendienste
und Fachleute verwiesen. Nur sie sind legitimiert, unsere Geräte zu öffnen, zu
überprüfen und zu richten. In dem Maße, in dem uns deren Innerstes fremd
bleibt, machen sie uns abhängig: von sich selbst und den heteronomen Struk-
turen, die zu ihrer Wartung errichtet wurden.

„Reverse Engineering“ formuliert dagegen den Anspruch der Benutzer_innen,
Geräte oder Programme zu öffnen, zu erkunden, nach eigenen Bedürfnissen zu
modifizieren und zu erweitern, ja, selbst neue Gerätecharakteristika zu ent-
wickeln, um diese an die sich verändernden technischen Rahmenbedingungen
anzupassen. Erst auf diese Weise treten uns unsere Produktions- und Repro-
duktionsmittel nicht länger als fertige und (ab)geschlossene Systeme gegen-
über. Wir eignen uns auf diesem Wege die Technologie, mit der wir arbeiten
und leben (müssen), an die wir verwiesen sind, die unseren Alltag strukturiert
und die uns auf diese Weise als das konstituiert, was wir im Horizont unserer
technischen Möglichkeiten sind, in beiderlei Wortsinne an.

Wo wir die Definitionshoheit über sie denen überlassen, die sie entwerfen,
bauen und verkaufen, weil wir von ihr nicht mehr wissen dürfen oder wollen,
als das, was zu ihrer Handhabung unerlässlich ist, überantworten wir unser
Leben anderen. Wo wir hingegen ihr Geheimnis ergründen, kehren wir unser Verhältnis zu ihr um: Statt sie bloß äußerlich zu beherrschen, nämlich zu wissen,
welche Schalter und Knöpfe wir in welcher Reihenfolge betätigen müssen, er-
langen wir endlich wirklich die Herrschaft über sie. Sie richtet uns nicht mehr zu,
wie es das fordistische Verhältnis zur Maschine kennzeichnete, sondern wir
werden an ihr zum autonomen Subjekt, und zwar in dem Maße, in dem wir sie
verstehen, replizieren und verändern können.

So können wir Technologie von jener Entfremdung befreien, die wir in ihrem
fremdbestimmten Gebrauch immer wieder erleben und gegen die Technokratie
wenden, der wir uns da überlassen, wo wir sie bloß im Sinne der ökonomischen
und politischen Interessen derjenigen benutzen, die sie bereitstellen.

Wir lernen auf diesem Wege also nicht bloß, Technologie detailgetreu nachzu-
bilden, so dass das neue Gerät wie das alte funktioniert – oder auch: das
eigene wie das fremde –, sondern ebenso, dass sie selbst zu gestalten. Was
wir mit ihr tun, ist so nicht mehr vorgegeben – durch Bedienungsanleitungen
und Benutzer_innenoberflächen, durch Hersteller_inneninformation und Ge-
wohnheit. Wo wir sie gegen die Intentionen ihrer Schöpfer_innen wenden und
verwenden, wehren wir uns gegen jene Konditionierung, die in ihrem Namen
über uns verhängt wurde. Geräte zu öffnen, bedeutet also nicht einfach nur,
sie aufzuschrauben, das Gehäuse aufzubrechen, um uns Zugang zu ihrem Innenleben zu verschaffen. Dies stellt eine Form technologischer Selbster-
mächtigung dar, mit der wir unsere Geräte erobern, neuen Zwecken zuzuführen
und andere Gebrauchsweisen für sie erfinden, als jene, die ihnen hersteller-
seitig eingelegt wurden. Wir befreien uns damit von jenem entmündigenden
Halbwissen, zu dem uns Schlagworte wie „Benutzer_innenfreundlichkeit“ ver-
donnern. Wir öffnen so jene kapitalistische Technologie, deren spezifische Form
die der geschlossenen, ihre Betriebsgeheimnisse verbergenden Ware ist.


Die Aneignung unserer Entfremdung

Populäre Angstprojektionen auf Technologie, wie sie uns in Science-Fiction-
Erzählungen, öffentlichen Debatten oder paranoiden Vorstellungen (etwa von
karzinogener Handystrahlung) begegnen, haben ihren Ursprung nicht aus-
schließlich in jener „anthropologischen Konstante“, die „das Fremde“ der Tech-
nologie deshalb zu fürchten müssen meint, weil es „das Eigene“ in einem sehr
steinzeitlichen Sinne bedroht. Sie speisen sich auch aus jener Art und Weise,
mit der Technologie sozial implementiert wird: In den spezifischen Herrschafts-
verhältnissen fordistischer und postfordistischer Gesellschaften tritt sie uns
stets als Zwang gegenüber, als Anrufung und Humankapitalverhältnis, als An-
passungsdruck und Leistungsaufforderung. Diesem Zwang begegnen die Sub-
jekte in Arbeit und Freizeit, im Öffentlichen wie im Privaten. Die neuen Mög-
lichkeiten und Spielräume, die Technologie verheißt, sind unter den Bedingun-
gen kapitalistischer Inwertsetzung stets mit einer Nötigung versetzt: Wer sie
nämlich nicht nutzt und für die jeweils nächste Gerätegeneration fit ist, wird zur
Technikverlierer_in. Die sozialdarwinistische Drohkulisse der bürgerlichen Gesell-
schaft (wie sie aktuelle Debatten um lebenslanges Lernen, Abgehängte und
Bildungsverlierer_innen errichten) verwandelt die Lust am Technischen in fordis-
tische Pflicht und postfordistische Selbstverpflichtung zu Technologiekompetenz.

Was uns an Technologie also ängstigt oder unter Druck setzt, entspringt
keineswegs ihrem Wesen, wie es zivilisationskritische und technophobe Posi-
tionen behaupten. Es ist das Inwertsetzungsparadigma, das uns in ihrer Ge-
stalt ganz unverhohlen entgegentritt – und das in jenem Verhältnis gründet,
in dem alle kulturellen oder technologischen Artefakte aufgehängt bleiben, so-
lange die ökonomische Ordnung, die sie hervorbringt, in Kraft ist.

Weil unter den gegebenen Bedingungen Technik immer nur ein willfähriges
Instrument zur ungebremsten Verwertung von Mensch und Natur sein kann,
empfinden wir ihre Präsenz und Macht bisweilen als so erdrückend, dass wir
uns in einen vortechnologischen Raum zurückträumen, den es freilich niemals
gegeben hat, seit der Mensch im Gebrauch von Werkzeug zum Menschen
wurde. Jene Entlastung durch Technologielosigkeit, die wir uns dabei ausmalen,
darf freilich nichts davon wissen (wollen), dass nicht die Technik uns über-
fordert, sondern jene ihre eingelegten Verwertungsinteressen, in deren Namen
sie uns zu Getriebenen macht.

Die Zerstörung, die der Motor der kapitalistischen Produktionsweise ist, ist also
nicht das Spezifische der Technologie, sondern bloß der Rahmen, in dem sie
unter den gegebenen Umständen bereitgestellt wird. Was wir an ihr fürchten,
ist bloß das Kapitalverhältnis, das sie – ebenso gut wie alle anderen kulturellen
Hervorbringungen kapitalistischer Mehrwertproduktion – vermittelt.

Dies lässt sich vor allem an der Übertragung des Entfremdungsbegriffs, mit dem
Marx das Verhältnis der Arbeiter_innen zum Produkt ihrer Arbeit charakterisiert,
auf Technologie ablesen. Nicht nur die Alternativbewegung hat im diffusen bzw.
affektgeladenen Gebrauch kapitalismuskritischer Begriffe von einer allgemeinen
Entfremdungserfahrung im technischen Zeitalter gesprochen – und damit wert-
konservative Ängste vor dem Verlust des Althergebrachten (etwa der Substitu-
tion von Tante-Emma-Läden durch anonyme Supermarktketten) mit Ideologie-
kritik kontaminiert.

Während kapitalistische Technologie (vor allem seit Einführung des Personal
Computers und des mit ihm tendenziell immer und überall erreichbaren Inter-
nets) die heteronomen Verhältnisse der kapitalistischen Fabrik in den gesamten Lebensalltag ihrer Subjekte transponiert, wohnt jener Entfremdung von „ge-
wachsenen“, naturhaften Strukturen durchaus emanzipatorisches Potential
inne. Beide Aspekte gilt es voneinander abzutrennen. Technologie als Agentin
einer Entfremdung vom vermeintlich Eigenen und „Eigentlichen“ (Identität, Tra-
dition, soziale Rollen, Hierarchien und die Subjektpositionen der bürgerlichen
Gesellschaft) kann gegen Technologie als Repräsentantin fremder Verwert-
ungsinteressen in Anschlag gebracht werden. Dies wäre ihre zu entfaltende
Dialektik: Entfremdung als Emanzipationsverhältnis (die Autonomie gegenüber
der Tradition schafft) und Entfremdung als Kapitalverhältnis (die Heteronomie
der Produktionsverhältnisse). Um eine solche Differenzierung vornehmen zu
können, müssen wir jedoch einen Technologiegebrauch erlernen, der uns die
Wahl lässt, welche Form der Entfremdung wir mit ihr realisieren wollen.


Dekonstruktion, nicht Destruktion

Indem wir uns die Technologie (wieder) zu Eigen machen, und ihre positiven
Entfremdungsaspekte in die eigenen Hände nehmen, treten wir aus jenem Herrschaftsverhältnis aus, das sie als fremdbestimmte über uns verhängt hat.
Wir überwinden unsere Abhängigkeit von ihr, in dem Maße, wie wir sie in Mit-
gestaltung und Teilhabe verwandeln und ihren Ernst in ein Spiel, bei dem wir ihre unzugängliche Tiefenstruktur freilegen. Nur auf diesem Wege können wir jene fremden Zwecke und Absichten, denen Technologie uns unterwirft, mit unseren eigenen überschreiben. Wir lernen dabei auch, aus konkreten Geräten abstrakte Prinzipien zu extrahieren, um sie auf andere Probleme und Intentio-
nen zu übertragen, als die, für die sie vorgesehen waren – und dabei vorhan-
dene technische oder programmliche Lösungen in eine höhere Abstraktion-
sebene zu überführen. Auch das möchte die geschlossene Geräteform verhin-
dern.

In einer weitgehend von technologischen Routinen und Automatisierung ge-
prägten Lebenswelt stellt „Reverse Engineering“ also die aktuelle Form des
historischen Projektes der „Aufklärung“ dar: Durch sie lernen wir, der Technik
nicht bloß deshalb blind zu vertrauen, weil sie uns beherrscht. Wir hinterfragen
und durchdringen sie und legen die Quellcodes unserer Erfahrungswirklichkeit
und unserer Lebensrealität frei oder auch: offen. In einer gewissen Weise ent-
spricht dies durchaus der Definition von Aufklärung, wie Kant sie gegeben hat:
als „Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“.

„Reverse Engineering“ ist nicht getragen von Unlust oder Überdruss an Tech-
nologie, sondern nimmt deren klassisches Versprechen beim Wort: dass sie
unser aller Leben verbessern kann. Das kann sie aber nur da, wo wir sie als
Produktionsmittel von Realität und Wohlstand umverteilen. Wo wir „Reverse
Engineering“ betreiben, wollen wir Technologie gerade nicht zerschlagen wie
noch jene klassische Maschinenstürmerei, mit der die Arbeiter_innen der Indust-
rialisierung gegen ihre Versklavung durch Technologie aufbegehrten. Wir wollen
sie demokratisieren und damit die kapitalistische Ideologie von Ausschließung
und Verwertung dekonstruieren, die in ihre Baupläne eingegangen ist und die
im Gehäuse prägnanten Ausdruck findet.

Dabei gehen wir auch davon aus, dass es nicht nur darum geht, über welche
Technologie wir in welcher Weise verfügen können und wozu sie uns befähigt.
Als ebenso wirkmächtig verstehen wir die technischen Formen selbst, in der sie
uns gegenübertritt, die niemals unschuldig oder wertfrei sein können. In ihre
Gestalt ist die Ideologie derjenigen Menschen und Institutionen eingegangen,
die sie bauen. Und die hat Auswirkungen darauf, wer welchen Zugang zu ihnen
hat, wen sie anziehen oder abstoßen und wie er oder sie sich in ihnen zurecht-
findet. Schon deswegen müssen die Geräte (und ihre Formen) immer wieder
modifiziert werden, um sie den Bedürfnissen von Gruppen oder Subkulturen an-
zupassen, die ansonsten nur dann wahr- und ernst genommen werden, wenn
sie eine genügend große Zielgruppe konstituieren, die überdies noch mit der
entsprechenden Kaufkraft ausgestattet sein müsste, um nach den Maßgaben
einer freien Marktwirtschaft berücksichtigt zu werden.

Im Begriff der Dekonstruktion wird deutlich, dass „Reverse Engineering“ nicht
ausschließlich das technologiespezifisches Verhältnis zum Gerät betrifft. In einem metaphorischen Sinne lassen sich seine Strategien auf so genannte
„Kulturtechniken“ übertragen und damit auf die zeichen- und repräsentations-
politischen Kämpfe der Gegenwart. Unsere soziale oder kulturelle Program-
mierung lässt sich nämlich in einer ähnlichen Weise neu codieren, wie es die di-
gitale Kultur mit ihren Produktionsmitteln tut. Zum Beispiel kann die binäre Ge-
schlechterordnung, die noch immer große Teile unseres Lebens und damit unse-
re Handlungsmöglichkeiten nach den ideologischen Maßgaben des 18. Jahr-
hunderts ordnet und strukturiert, überwunden werden, indem in die kulturellen
und genetischen Quellcodes von Geschlecht eingegriffen wird, etwa durch Hor-
monpräparate, Geschlechtsumwandlungen und plastische Chirurgie, Gender
Bending, Crossdressing oder polyamouröse Beziehungsformen.

„Reverse Engineering“ ist also nicht bloß technische Spielerei für Nerds und Hacker_innen, sondern selbst ein Programm, um scheinbar naturhaft Gegebe-
nes (das in Wahrheit bloß programmiert ist) zu verändern und so Anliegen zu formulieren, die durch die bestehenden Geräte blockiert und unsichtbar ge-
macht werden. Wir müssen nur die kulturellen Codes verstehen, die die be-
stehende Ordnung hervorbringen und wissen, wie sie – als spezifische Bezieh-
ungsformen zueinander und zu den Geräten – gesellschaftlich und kulturell
verankert wurden, um eigenen „Programme“ zu schreiben, zum Beispiel unser
ganz persönliches Geschlecht (jenseits der überkommenen Mann-Frau-Dich-
totomie) zu „coden“.

Gentechnologie und Stammzellenforschung arbeiten wiederum daran, den Bau-
plan des Lebens selbst zu entschlüsseln. Ohne das Prinzip der Sektion, der Öff-
nung der Körper, wären die aktuellen Wissensstände in Biologie und Medizin
kaum vorstellbar. In der Kunst wiederum wurden in den letzten Jahrzehnten
Methoden entwickelt (Collage, digitale Bildbearbeitung, Sampling, Remixver-
fahren), um bestehende ästhetische Artefakte zu zerlegen und das daraus ge-
wonnene Material als kostengünstiges, weniger voraussetzungsreiches und
leicht zugängliches Produktionsmittel einzusetzen.
In einem metaphorisch erweiterten Verständnis des Begriffs stellt  „Reverse
Engineering“ eine gesellschaftliche Schlüsseltechnik dar, die die Grundlage für
Kunst, Wissenschaft und Politik, ja für gesellschaftliche Produktivkraft und Ent-
wicklung überhaupt, bildet.

Auch wenn angesichts der fortschreitenden Technisierung und Digitalisierung
unseres Lebens „Reverse Engineering“-Verfahren immer mehr Bedeutung und
eine besondere Plausibilität gewinnen, so sind sie doch keineswegs eine ge-
nuine Erfindung der digitalen Kultur oder der Moderne. Vorgefundenes zu zer-
legen und zu modifizieren, stellt eine menschheitsgeschichtliche Konstante dar,
die vom Stein, der zur Waffe wird, zielstrebig zu gecrackter Software führt.


Lizenzbestimmungen als Herrschaftsinstrument

Mit der Überführung technischer Problemlösungen in eine besondere Besitz-
form: die des geistigen Eigentums ist jedoch ein spezifisches Hemmmoment in
der menschlichen Entwicklungsgeschichte entstanden, das den Fortschritt durch
digitale Vernetzung (mit der sich Problemlösungen in Sekundenschnelle und
zum Wohle aller weltweit verbreiten ließen) annulliert. Weil die bürgerliche Ge-
sellschaft technologische Entfaltung nicht als Kollektivanstrengung denken kann, sondern in Einzelnen personalisiert (von Galileo über Edison bis Steve
Jobs), die als erste und in vermeintlicher Eigenleistung zu einer bestimmten
Lösung gekommen sind, wird sie zum Eigentum (am Produktionsmittel) ge-
macht, über das andere nur im Rahmen von Lizenzierungen (die gegen Geld-
mittel erworben werden müssen) verfügen können. Während das Zergliedern
und Wiederzusammensetzen von Objekten der Natur oder technischer Hard-
ware ein unstrittiges Mittel von Wissens- und Technologieerwerb darstellt,
sehen die Lizenzen von Software – als der Impulsgeberin der technologischen
Entwicklung – immer noch ausgesprochen restriktive Zugangsbeschränkungen
vor. Sie darf in vielen Fällen nicht gecracked, also geöffnet und bearbeitet
werden. Begründet wird dies damit, dass ein Programm selbst von ihren Nutzer
_innen ja nicht erworben und somit besessen wird. Gehandelt werden eben le-
diglich Lizenzen, die mit entsprechenden Einschränkungen und gegebenenfalls
einem Zugriffsmanagement versehen sind. Dies wird mit der „nicht-materiellen“
Form von Software begründet, die sie im geistigen Eigentum ihrer Entwickler
_innen belässt, auch dann noch, wenn sie schon längst in unserem Rechner
läuft und zum Beispiel Windows-typische Probleme verursacht.

Von daher untersagen viele Lizenzbestimmungen von Software „Reverse
Engineering“ und unterbinden den Zugriff auf ihren Quellcode. Dass sich das –
ähnlich wie die Kopierschutze von CDs und DVDs – nicht immer vorteilig auf ihre
Funktionalität auswirkt, wissen wir aus täglicher Erfahrung.
Dabei geht es aber nicht bloß um den Schutz von Besitztiteln. Die Benutzer
_innen von Software werden auf diese Weise in einem Abhängigkeitsverhältnis
gehalten, das verwertet wird, etwa durch den Zwang zu immer neuen Updates
und Upgrades, aber ebenso durch gezieltes Veralten-Lassen, das zum regel-
mäßigen Erwerb neuer Soft- oder Hardware zwingt, die dann auch nur kurze
Zeit mit dem sich permanent weiterentwickelnden Geräteumfeld kompatibel ist.

Oft werden herstellerseitig schon keine aktualisierten Treiber mehr angeboten,
wenn Software nicht mehr auf dem jeweils neuesten Betriebssystem läuft.
Ohne diese werden teuer erworbene Geräte nutzlos. Mit entsprechenden Kennt-
nissen und Expert_innenwissen lassen sie sich zwar selbst schreiben, dürfen
dann aber nicht im Netz denjenigen zur Verfügung gestellt werden, die dazu
nicht selbst in der Lage sind.

Lizenzbedingungen von Software schützen also zwar die Herstellerfirmen und
ihre Copyrights, konfligieren aber mit den Interessen der Nutzer_innen und dem
Allgemeinwohl. Denn die Verschrottung nicht mehr kompatibler Scanner etc. ist
für die, die in Arbeit und Freizeit darauf angewiesen sind, ein finanzielles Pro-
blem und für den Rest der Welt ein ressourcenpolitisches. Geräte mit geringer
Haltbarkeit zehren ohne Not globale Ressourcen auf, und ihre Herstellung und
Distribution steigert den CO2-Ausstoß. Dass die immer wieder (ohne die Pers-
pektive ihrer Umsetzung) verkündeten Klimaschutzziele stets um dieses Grund-
problem der kapitalistischen Produktionsweise herumreden (müssen), zeigt nur
wie unumstößlich festzustehen scheint, dass wir auch in Zukunft nicht verant-
wortungsvoll produzieren können, weil dies in einen Widerspruch zum Kern-
prinzip der kapitalistischen Ökonomie geriete.

Die gängigen Lizenzbestimmungen schreiben also nicht nur den Nutzer_innen
Unmündigkeit im Gebrauch ihrer Produktionsmittel vor, sie zwingen auch allen
anderen die Folgekosten ihres Eigennutzes auf. Die Weiterentwicklung und
Anpassung bestehender Softwaretechnologie durch ihre Nutzer_innen zu blo-
ckieren und damit Abhängigkeitsmuster zu forcieren, hemmt technologische Ent-
faltung bereits heute und steht in einem unmittelbaren Widerspruch zu sozialen
Entwicklungszielen wie Partizipation, Inklusion, Mündigkeit und individuelle Frei-
heit. Nicht nur wird uns das Mitbestimmungsrecht über die Geräte, die unser
tägliches Leben bestimmen, verweigert, dem Subjekt der digitalen Revolution
wird auf diese Weise auch der Zugang zur Konstitutionsebene seiner Subjekt-
ivität verwehrt.

Wo wir Betriebsgeheimnisse aufschließen und nachbauen, schaffen wir also
nicht bloß so genannte „Counterfeits“ – Raubkopien, die Anderen die Entwick-
lungsarbeit und -kosten überlassen, sondern wir denken Technologie neu: Sie
ist dann kein von der technologischen Entwicklung (und den in ihr verborgenen
Interessen derjenigen, die über die Produktionsmittel dazu verfügen) über uns
verhängtes Verhältnis, sondern eine kooperative Anstrengung zur Veränderung
unseres Lebens, die einem Bedürfnis nach (technologischer) Teilhabe und Mit-
bestimmung entspringt. Statt bloß jenes Kapitalverhältnis zu bestätigten und zu
verlängern, in dessen Rahmen Technologie noch immer entsteht, wird sie so
zum Gemeingut.
Die Kritik an bestehenden Zugriffsreglements ist damit eine der wichtigsten Konfrontationen unserer Zeit. Es geht hierbei um eine Grundsatzentscheidung,
ob und in welcher Form die Nutzer_innen an ihren Geräten beteiligt werden
oder ob sie diesen bloß im Rahmen einer Lizenzvergabe unterworfen sein
sollen.


Die digitale Avantgarde als politische Formation

paraflows versteht sich als Austragungsort für aktuelle Debatten der digitalen
Kunst und Kultur. Und als Sprachrohr der Netzkultur, deren Ideen, Ziele und An-
liegen wir in eine theoretisch reflektierte Form zu bringen versucht. Aus dieser
Position leitet sich für uns der Anspruch ab, für den unreglementierten Geräte-
zugriff Stellung zu beziehen und zu zeigen, dass es sich hierbei nicht bloß um
ein softwarespezifisches, sondern um ein allgemeines Problem gesellschaftlicher
Partizipation handelt. Unter kapitalistischen Bedingungen steht der Anspruch
der Menschen auf Teilhabe und Inklusion Verwertungsinteressen gegenüber,
die ausschließen, um ihre eigene Markt- bzw. Machtposition zu sichern und
durchzusetzen. Unserem Verständnis nach muss digitale Kunst und Kultur Partei
für diese Ansprüche ergreifen, anstatt bloß die eigenen zu verbalisieren.

Vor diesem Horizont möchte paraflows .7 die Diskussion um die Zugangs- und
Verbreitungsmöglichkeiten zu und von digitalen Kulturwaren (ob Software oder
digitalisiertes Kulturgut) nicht als eine Reihe individueller, aber prinzipiell unver-
bundener Kämpfe betrachten, sondern als eine zusammenhängende Konflikt-
linie, die die Frage nach Eigentum und Zugangsbedingungen im 21. Jahrhun-
derts neu aufwirft.

Wir glauben, dass sich im freien Softwarezugang und freier Distribution digitaler
Kulturerzeugnisse ein gesellschaftlicher Paradigmenwechsel von noch nicht überschaubarer Tragweite anbahnt, der sich aktuell am greifbarsten – wenn-
gleich nicht bloß dort – in den medienwirksamen Kämpfen um die Freiheit im
Netz zeigt (z.B. unlängst im Prozess gegen den Sharehoster Megaupload).

Um ihn zu explizieren und zugleich voranzutreiben, muss die digitale Kunst und
Kultur die Grenzen, die uns Software und Geräte auferlegen, überschreiten. Sie
will dabei jedoch keineswegs nur aufzeigen, was im Rahmen des Erlaubten (ge-
rade noch) möglich ist. Stattdessen verdeutlicht sie – netzpolitisch in spekta-
kulären Interventionen, spielerisch im Rahmen digitaler Kunstproduktion – was
ebenso gut möglich sein könnte, und wie wir diese Möglichkeit praktisch herbei-
führen können. „Reverse Engineering“ ist dabei eine zentrale Strategie, auch
wenn sie – wie gesagt – keine Erfindung jener digitalen Kultur ist, die aktuell
ihren avanciertesten Schauplatz darstellt.

Wenn wir als digitale Kultur also für unsere Freiheit kämpfen, indem wir uns Zu-
gang zu einer Technologie verschaffen, die uns nur als ihre Konsument_innen
haben will, müssen wir uns bewusst sein, dass unser Kampf nicht zuletzt sym-
bolischen Charakter hat. Wo wir die Zugriffsreglements (und die in sie encodier-
ten Ideologien von geistigem Eigentum und sozialen Schließungen) bloß in indi-
viduellen Hacks aus dem Weg räumen, weil es für gut geschulte Programmierer
_innen freilich ein Leichtes ist, Zugangshürden zu überwinden, verspielt sie den
Autonomieanspruch des Menschen, der in ihr seinen aktuellsten Ausdruck
findet.

Als kulturelle und technologische Avantgarde der Gegenwart muss Netzkultur
sich mit anderen partizipatorischen Projekten verbinden und sie muss sich der
Jahrhunderte alten Geschichte ihres Kampfes bewusst sein. Nur so kann es ihr
gelingen, das Wissen und die Erfahrungen derjenigen produktiv einzubeziehen,
die mit denselben Mitteln um ganz andere Dinge gekämpft haben, etwa um be-
triebliche Mitbestimmungsmodelle, die Codifizierung so genannter „Commons“,
um die Freiheit von geschlechterspezifischen Zuschreibungen oder die Öffnung
geschlossener Strukturen, gleich ob diese nun in digitaler oder analoger Form
bestehen.

Unser Kampf darf sich also nicht darin genügen, technologische Barrierefreiheit
einzufordern, wie es der zeitgenössische Softwareliberalismus der Open-
Source- und Public-Domain-Kultur tut. Die Aktivist_innen der Freien-Software-
Community und vergleichbarer Gruppen lassen sich nämlich nicht selten vom
idealistischen Irrglauben an die politische Macht von Medien oder Technologie
leiten. Und der verkommt, wo er deren ökonomische Grundlagen aus dem Blick
verliert, zu banalem Technooptimismus, der davon ausgeht, die gesellschaftliche
Ökonomie könne sich verändern, einfach indem sie technologisch oder medial
umgestaltet wird. Der Kampf um eine andere Ökonomie, um gleiche Verteilung
des gesellschaftlichen Reichtums und seiner Produktionsmittel, verschwindet
dabei in den Durchsetzungsscharmützeln immer neuer Medien und Techno-
logien, wie sie die bürgerliche Gesellschaft seit ihrer Entstehung prägen und
immer nur soweit revolutioniert haben, dass sie darüber dieselbe bleiben kann,
ohne zu veralten.

Hiervon muss sich digitale Kunst und Kultur abgrenzen, wenn sie nicht bloß kul-
turelle Vorhut des digitalen Zeitalters sein will, die avancierte Geräte gegen die
Widerstände marktökonomisch überlebter Strukturen einführt, testet und durch-
setzt – und kreative Lösungen für die daraus hervorgegangenen Interessens-
konflikte anbietet. Denn natürlich betreibt „Reverse Engineering“ immer auch
Produktentwicklung und hilft auf diesem Wege bei der Anpassung und Ver-
jüngung des Systems, z.B. wenn Nutzer_innen Programme und Geräte selbst schneller an die Anforderungen anpassen, die der Verwertungszusammenhang
an sie stellt, als es schwerfällige Konzerne wie Microsoft oder Apple könnten.

Als Repräsentantin der digitalen Kunst und Kultur möchte paraflows .7 jedoch
nicht die Befreiung der Geräte von repressiven Gebrauchsanweisungen vor-
antreiben, damit wir alle mehr mit ihnen dürfen und können, als vorgesehen
und so unsere Effizienz und unseren Marktwert als digitale Tagelöhner_innen
steigern. Ebenso wenig geht es bloß darum, die allerschlimmsten Urheber-rechts-Anachronismen aus dem Weg zu räumen, um den Kapitalismus fit fürs
21. Jahrhundert zu machen. An dessen statt möchten wir einen allgemeinen
Anspruch des Menschen auf partizpatorische Besitzverhältnisse artikulieren,
der sich gegenwärtig wohl am eindrücklichsten und stichhaltigsten am Beispiel
der umkämpften Freiheit im Netz darstellen lässt. Dafür müssen wir Stellung
beziehen für alle, die kapitalistische Mehrwertproduktion ausschließt oder ab-
hängt, indem sie ihnen Produktionsmittel und den Zugang zum gesellschaftlich
produzierten Reichtum verweigert.

Wo hingegen Softwareliberalismus einseitig und aus durchsichtigem Eigen-
interesse für das eine nur eintritt, ohne das andere mitzumeinen, wo er für die
Freigabe digitalisierter Kulturwaren plädiert, ohne damit ein Modell für die Gü-
terverteilung jenseits von P2P-Tauschbörsen zu entwerfen – wird er bloß Mehr-
desselben sein. Wo er seine Forderungen nicht in eine allgemeine Form bringt,
bleibt er jener systemstabilisierende Kampf um Fleischtöpfe und Klassenposi-
tionen, um individuelle Teilhabe und Humankapital, in dem die bürgerliche Ge-
sellschaft sich täglich neu zusammensetzt und bestätigt.


Ästhetische Nachahmung als  „Reverse Engineering“

In diesem Zusammenhang gerät auch die Geschichte der Kunst in unseren Blick,
die es ja seit jeher mit einer besonderen Form von „Reverse Engineering“ zu
tun hat: dem Abbilden dessen, was zu einem gegebenen Zeitpunkt als Natur
betrachtet wurde. In der Nachahmung dieser Natur durchbrach Kunst schon seit
jeher – lange Zeit, ohne sich selbst darüber Rechenschaft abzulegen – die Ideo-
logie des „Natürlichen“, indem sie es im ästhetischen Artefakt künstlich nach-
stellte. Bereits die Aristotelische Poetik hatte die Kunst im so genannten „Mime-
sisgebot“ wesensmäßig als Nachahmung bestimmt.

Die Mimesis, verstanden als die Nachahmung dessen, was zu einem gegebenen
Zeitpunkt in der menschlichen Bewusstseinsgeschichte als natürlich oder natur-
haft erschien, meint jedoch nicht nur das Abbilden dessen, was in „der Natur“
erblickt wurde, wie es im Falle der Gegenwart dann vielleicht die bildkünstler-
ische Darstellung einer CD-R mit Treibersoftware leisten würde (die für deren
Lizenznehmer_innen wohl eher kein Problem darstellt). Sie bedeutet vielmehr –
zumal mit zunehmender Entfernung von einfachen Naturauffassungen – die durchdringende Darstellung ihres Gegenstandes, also mithin genau das, was „Reverse Engineering“ heißt. In diesem Horizont streift Mimesis den alten Cha-
rakter von Illusionismus und Imagination ab. Schon bei Aristoteles war Nach-
ahmung – im Falle der Tragödie (auf die sich seine poetologischen Überlegun-
gen überwiegend bezogen) – „die nachahmende Darstellung einer Handlung“ –
nicht Selbstzweck oder reine Abbildung, sondern Mittel zur emotionalen Teil-
habe am Dargestellten: Die Zuschauer_innen sollten sich einfühlen, um so zur kathartischen Erfahrung eigner oder allgemein-menschlicher Emotionen zu
kommen.

Seit Anbruch der Moderne ist die Kunst – mit einschneidenden Konsequenzen
bis in die „postmoderne“ Gegenwart – reflexiv geworden. Dies bedeutet, dass
sie ihre eigenen Mittel, Zeichen und Strukturen zum Thema hat, dass sie dar-
über spricht, wie sie zu uns spricht, und dass die Materialien zu ihrer Herstel-
lung partiell autonom gegenüber ihrer Darstellungsfunktion werden: Sie ver-
wandeln sich von Werkzeugen in die Anknüpfungspunkte von Reflexion. Diese
Reflexion bezieht sich aber nicht mehr auf eine außersprachliche, unverbrüch-
liche, allenfalls falsch oder richtig repräsentierte Wirklichkeit, sondern auf die
Weisen, in denen Kunst zu ihrer Wirklichkeitsdarstellung gelangt. Sie ist infol-
gedessen nicht mehr Abbild der ersten Wirklichkeit, sondern formuliert einen
eigenen Wirklichkeitsanspruch, mit schwerwiegenden Folgen für die Welt über-
haupt, die sich darüber in konkurrierende Darstellungsroutinen aufzulösen be-
ginnt, wie sie sich spätestens im „linguistic turn“ der Geisteswissenschaften zu
erkennen geben.

Digitale Kunst ist hierbei vor allem auf den Gebrauch digitaler Werkzeuge an-
gewiesen – seien es Sound- oder Bildbearbeitungsprogramme, das Netz oder
Social-Media-Plattformen. Will sie dabei den historischen Reflexionsstand der
modernen Kunst nicht einfach aufgeben und – als sanftes Update illusionis-
tischer Kunstverfahren – bloß digitales Spektakel herstellen (was sie freilich
viel zu oft tut), so benötigt sie freie Programme, die ihr nicht den Zugang per
Lizenzbestimmungen verwehren und einen bestimmten stereotypen Gebrauch
vorschreiben, einen anderen aber inkriminieren. Von daher muss ihr die Freiheit
der Programme dasselbe sein wie jene justiziable Freiheit der Kunst, die in lan-
gen Kämpfen historisch durchgesetzt wurde.


Diskussionsgrundlagen

paraflows .7 wird daher auf vielfältige und miteinander verwobene Weisen die
Probleme und Möglichkeiten des  „Reverse Engineering“ erörtern. Im Mittelpunkt
stehen Fragestellungen, die die engen Grenzen des Legitimitätsdiskurses über-
steigen, wie er seit einigen Jahren zwischen Netzcommunity, Open-Source-Akti-
vismus und den Inhaber_innen von Softwarepatenten geführt wird. Dagegen
gilt es darauf zu beharren, dass  „Reverse Engineering“ kein genuines Problem
digitaler Kulturformen ist, sondern eine Kulturtechnik, die erst jene Entwicklung
in Gang gesetzt hat, an deren aktuellem Ende wir heute Fragen um intellektuel-
les Eigentum diskutieren.

Es gilt also strukturelle Ähnlichkeiten – und ebenso signifikante Unterschiede –
aufzuzeigen, die es zwischen den historischen Formen von „Reverse Engineering“ gegeben hat: Wie verändern sich dessen Ansprüche entlang der
Veränderungen ihres Gegenstandes? Welche neuen Möglichkeiten bringen aktuelle Softwareprobleme mit sich – und welchen historischen Erkennt-nisgewinn (v. a. hinsichtlich der Besitzordnung einer bürgerlich-kapitalistischen
Gesellschaft) ermöglichen die heute implementierten Zugangshürden und
Verbote? Wie lässt sich das Restriktionsmoment gegenüber Softwarezugriffen
als Indikator für grundsätzliche Webfehler des Gesellschaftssystems lesen und
welche propagandistische Wirkung für die Anliegen einer deregulierten Kultur
des Besitzlosen entfalten die oft hanebüchenen Gegenmaßnahmen der Soft-
wareschützer_innen?
Des weitern wäre zu fragen, inwieweit das klassische Öffnen der Körper in
Medizin und Biologie mit dem Öffnen von Software vergleichbar ist? Welche
methodologischen Erkenntnisse erweisen sich als übertragbar und welche
verbleiben lediglich im Bereich einer blassen Analogie?
Wem gehört überhaupt Software, und welche alternativen Besitzmodelle wären – gegenüber der restriktiven Handhabung enger Lizenzbestimmungen – denk-
bar? Welche Ausschlüsse produziert Open-Source-Kultur? Worin liegen die
Schwachstellen des Softwareliberalismus? Wo steht er und wie ist es wiederum
um seine soziale Positionierung bestellt? Welche Subjekte und Subjektivitäts-
typen generiert er, welche zieht er an und welche schreckt er ab? Wen schließt
sein Freiheitsverständnis aus? Wie lässt sich das ideologische System, in dem
er befangen ist, hacken? Wie kann er umgeschrieben werden? Wie sollen sich
soziale Bewegungen auf ihn beziehen und welche Berührungspunkte und Ge-
meinsamkeiten sind in ihm implizit oder explizit angelegt? – Inwieweit steht
technologisches und digitales Basiswissen allen zur Verfügung; wer hat über-
haupt Zugang zu Software?

Und: Wie lassen sich bestehende soziale Systeme öffnen, damit wir an ihre
Baupläne gelangen und sie verändern können? Wie konstituieren sich „die Ver-
hältnisse“ als Klassen -, Rassen- und Geschlechterbeziehungen, und welche
„Reverse Engineering“-Operationen lassen sich an der gesellschaftlichen Matrix vornehmen? Und zuletzt: Auch Digitale Kunst und Kultur bilden ein System, das
der Öffnung bedarf. Auch darüber werden wir nachdenken müssen: Durch welche Interventionen und Voreinstellungen kann paraflows .7 die Verhältnisse
der Netzkultur durchbrechen, um Ansprüche nicht nur zu formulieren, sondern
auch einzulösen…?

Frank Apunkt Schneider/Günther Friesinger